Iceland, my Heart.

A travel journal in German and English.


#1   Mein Koffer


Fünf Jahre ist es her, dass ich als Mitglied einer Theatergruppe nach Grönland flog, um dort gemeinsam eine besondere Geschichte zu erzählen. Und dann machten wir am Tag der Hinreise Halt in Reykjavik, 24 Stunden lang. Es war ein Sonntag und die Geschäfte waren geschlossen.

 

Wir fuhren raus vor die Tore der Stadt. Ich stand auf einem Felsen in der unwirklichen Landschaft von Reykjanes und habe mir gesagt, dass ich eines Tages zurück kommen würde. Und dieses Mal würde ich länger bleiben.

Fünf Jahre später packe ich meinen Koffer. 15 Tage West Island und die Westfjorde liegen vor mir. Ich bin erfüllt von Vorfreude und Nervosität. Mein Fernweh hat chronische Züge angenommen.

 

Vor ein paar Wochen habe ich mich entschieden, nur die linke Inselseite zu bereisen. Man sagt zwar, in zwei Wochen sei gesamt Island gut zu schaffen, aber ich fliege ja nicht hin, um so viele Kilometer wie möglich zu fahren. Ich freue mich auf ein kleines Abenteuer, neue Begegnungen und viel, viel Natur.



#2   Der Sonne Hinterher


Island ist in. Das erkenne ich bereits im Wartebereich des Flugsteigs C15 (oder 15C). Farbenfrohe Synthetik in allen Varianten strahlt mir von den Rücken der Mitreisenden entgegen. Und ich frage mich, ob ich dazu passe. In Gedanken gehe ich meinen Koffer durch und stelle mit Erschrecken fest, dass ich im Auge des globetrottenden Betrachters wohl ziemlich schlecht vorbereitet bin. Ich lasse den Blick schweifen und erhoffe inständig eine Jeanshose zu erhaschen, eine, die nichts weiter kann, als ihren Besitzer anzuziehen. Eine seh ich, dann noch eine.

 

In den Flieger einsteigend werde ich just meiner Sitzplatzreservierung beraubt. Da sitzt schon wer und daneben auch. Und aufstehen is nich drin. Also frage ich Flugbegleiter Carlos Thompson nach Rat. Der platziert mich ans Ende und da wackelts immer so. Besser gesagt, es schwingt.

Reykjavik ist noch etwa zwei Stunden entfernt. Es ist dunkel draußen, meine Nase juckt und ich frage mich, wie wohl die Luft schmeckt, da, wo ich hinfliege. Der Sonne hinterher.

 

Eine stinkende Busfahrt und unwirkliche erste Eindrücke später schleiche ich im Herzen der Stadt von der schläfrigen Mitternachtssonne erhellt durch einen fremden Garten. Ich schiebe den Riegel auf und zögere - Soll ich wirklich in ein fremdes Haus eintreten? Kurz will ich 'Hallo' rufen, doch das dunkle Innere sieht so friedlich aus. Meine Gastgeber sind nicht da und ich betrete ihr privates Leben, einfach so.

 

Nachts. Durch die Hintertür. Wie gut, dass ich kein Einbrecher bin.



#3   Evas Versteckte Kinder


Es war einmal ein Junge, der das Gras schnitt vor einem Haus, das den Alten ein Zuhause ist. Oben im ersten Stock arbeitete ein Mädchen, das ihn nicht beachtete. Eines Tages schnitt der Junge den Namen des Mädchens in den Rasen. Aber angefangen, ihn zu lieben, hat sie trotzdem nicht.

 

Das ist eine Weile her. Heute stehen wir vor diesem Haus, zwei Belgier, ein Isländer und ich. Die Sonne scheint so gründlich, dass ich vergesse, wie weit nördlich ich gerade bin. Eine schwarze Katze liegt in der Sonne, Stefán, der Isländer, hebt sie auf. Kläglich ruft sie; sie sonnt sich nicht, sie hat Schmerzen.

Ich streichel sie, kaum bekommt sie ihre Augen auf. Was tun? Stefán trägt sie rein ins Haus, ihre Besitzerin arbeitet hier und bringt die Katze schließlich heim.

 

Fahrradfahren durch Reykjavik bekommt mir, ich rieche das Meer. Im Stadtinneren ist es mollig warm, am Meer pustet der Wind kräftig meine Sinne davon. Bei Kaffee und Quiche werde ich müde, mitten am Tag. Von Evas versteckten Kindern berichte ich ein andermal. Aber vielleicht kennst du dieses Märchen ja schon, diese Geschichte über Islands erste Elfen.



#4   Borganes is Happiness


Bis gestern hat sie noch selbst in diesem Haus gelebt. Jetzt ist Svavas Tochter ausgezogen. Sie steht vor mir, in meinem Alter, und stellt mir Pinocchio, den Prinzen, und Amy Winehouse vor. Amy Winehouse habe ich vorhin gestreichelt, mit ihrem buschigen Fell eine Diva unter den Katzen. Sie wohnt nebenan. 'Let's hope she doesn't end up like the other one.' sagt Svavas Tochter lächelnd, während Pinocchio, seinerseits Hund, ihr die Treppe hinauf folgt.

 

Dann stehe ich drin, in einer beeindruckenden Sammlung aus Familienkitsch und Memorabilien, ihr Reich und mein Schlafplatz für diese Nacht. Mein Zimmer hat ein großes Milchglasfenster und ich weiß, dass etwa zwanzig Meter dahinter der Nordatlantik beginnt. Das ist seltsam.
Svavas Tochter hat in Borganes eine neue Wohnung gefunden. Sie will hier nicht weg, why should she? 'Borganes is happiness', sagt sie.

An diesem Abend nehme ich an der Küste ein Sonnenbad und erfahre diese zum Bersten ehrliche Ruhe. Und ich glaube, ich bekomme einen Sonnenbrand.

 

Rückblende. Am Goldenen Ring/ Disneyworld, samt Menschenmassen und befestigten Parkplätzen vorbei ist es da. Das Island. Das Eine. Geräusche von Wasser und Wind in all seinen Variablen; Staub, Steine, Moos und dann. Nichts.

 

Isländische Autos müssen hart im Nehmen sein. Ich habe heute morgen mit Bauchschmerzen eine Versicherung gegen Sandstürme und Steinschläge abgeschlossen. Jetzt finde ich, dass ich nie eine bessere Entscheidung getroffen habe. An meiner ersten isländischen Nebenstraße, der 48 nach Hvalfjördur mit Ziel Borganes, bin ich erst einmal vorbeigefahren. Und dann habe ich all meinen Mut zusammengenommen und gewendet.



#5   Schichtkuchen


Und dann fühle ich mich so klein. Das Wetter hat umgeschlagen, ich fahre die Hochlandstraße entlang, über die ich am Tag zuvor nach Stykkisholmúr gelangt bin. Schneeflocken. Von der Seite. Die Berge sehen bedrohlicher aus, und doch entlockt das fehlende Sonnenlicht ihnen ungeahnte Farben.

 

Ich fahre und fahre, an Ebenen, Tälern mit Wasserfällen und an einem umgestürzten Campingwagen vorbei. An einer Achse hat die Polizei Flatterband angebracht, ich bin froh, dass mein Gefährt kleiner ist und dem Wind damit weniger Angriffsfläche bietet. Das Lamm am Straßenrand zeigt sich unbeeindruckt.

In Hellnar esse ich traditionellen Schichtkuchen mit Rhabarbermarmelade dazwischen. Ich bekomme unvorhergesehen zum ersten Mal seit meiner Ankunft isländische Währung in die Hand. Aus Versehen zieht die Café Betreiberin 500 ISK zu viel von meiner Kreditkarte ab. Unentschlossen betrachte ich den Schein, genau 3,40 Euro. Kann passieren.

 

Ich fahre und fahre, gehe an einem schwarzen Küstenabschnitt spazieren, komme einem Mövennest zu nahe und fahre.

Wieder zurück nach Stykkisholmúr.



#6   Global Warming


Right throughout this trip I have been experiencing so much beauty, so much unspeakable moments extraordinaire and I have met some wonderful people. Hence every night, after a day's drive or hike or just sitting and enjoying I am unsure what to write - there are just so many personal experiences. But I realize that is not all there is to this. There is something else, something I need to write about, something we all need to address. Constantly. Global warming.

 

Iceland is experiencing the coldest summer to date. I have heard many voices along the way telling me, it is too cold for the beginning of summer. And this morning over breakfast in Bildudalur a lovely guy tells me that the cold coming into Iceland is the glaciers in Greenland melting rapidly. The cold melt water is flowing into the North Altantic. He suggests, this may be the only country which gets colder because of global warming.

I remember that in Greenland, being surrounded by the country's beauty, I had this pain in my belly and there would be a frown on my face sometimes. It was not because of the sun, but because there was some darkness in all that was there. Sitting here in Bildudalur, which by the way is said to be the warmest place in Iceland, I feel like that again. Upset. Worried.

 

In Germany we know of the ice caps melting, but it is theory in our minds and many of us do not care enough. We do not experience what it feels like nor what it looks like. Here it is happening right now.

 

The world is changing and we are the reason. And it may very well be that soon we will not recognize it anymore.



#7   KVÍAR


Ich atme aus. Nur mit Mühe gewöhnen sich meine Augen an die Helligkeit. Sie wussten zwar, irgendwann hat auch dieser Tunnel ein Ende, aber irgendwie sahen sie den Schnee und die gleißende Helligkeit nicht kommen. Der einzige echte und tiefdunkle Tunnel auf meiner Reise ist der nach Ísafjörður. Und dann liegt es da, das Städtchen, sanft eingebettet zwischen den Riesen rechts und links und mit Blick aufs Meer. Es ist fast schon ein wenig seltsam, nach so viel Einsamkeit der letzten Tage, inmitten dieser Fjordlandschaft eine Stadt zu erblicken. Eine mit mehr als zehn Häusern.

 

Ob ich meine Sprache wohl wiederfinde?

Nach meinem ersten schlechten Schlaf in Island sitze ich am nächsten Morgen viel zu früh in einem Café. Ich habe eine seltsame Kombination von Klamotten an und fühle mich ausgestopft. Unsere kleine Gruppe begibt sich zum Hafen und besteigt ein Speedboat, das sieht von innen aus wie ein Bus und wackelt auch so. Bei gutem Wetter zumindest, und das haben wir. Es ist ein großer Spaß. Ich will mehr.

 

Nach etwa einer Stunde vom Boot aufs Schlauchboot an Land - für ein Landei wie mich is dat allein ja schon wat aufregend. Und dann gehts los, acht Mann bergauf, am Anfang brav unserem charmanten Guide hinterher, später mutig jeder in eigener Mission unterwegs. Und plötzlich Schnee unter den Sohlen. Immer noch bergauf. Die Pausen sind toll. Um uns herum nichts. Die Landschaft ist Seelenfutter und meine droht bei so viel Schönheit zu zerspringen. Wie gut, dass meine Mitstreiter allesamt so gesprächig sind und mich abwechselnd ablenken.

Ich laufe auf Schnee! Und auf so tollem Schnee! Ich will einen Schneeengel machen aber hab nur meine doofe Jeanshose an (oberste Lage). Aber ich hüpfe ein bisschen. Und das Grinsen geht nicht mehr weg. Dann Seitenstiche. Hach ja, die sind auch wat. Und dann irgendwann. Oben. Der klare sonnige Blick in alle Richtungen und wir stehen auf einer weißen Decke.

 

In Hornstrandir leben keine Menschen mehr. Die letzten verließen 1952 diesen Teil des Landes. Heute ist es ein Naturreservat ohne Infrastruktur und unser Guide erzählt, dass er hier diesen Monat seine Arbeit als Ranger beginnen wird. Ziemlich großartig, und wohl ziemlich einsam.


In einem Haus ehemaliger Hornstrandir Bewohner an der Küste essen wir zusammen und natürlich gibt es Fisch. Lachs aus der Pfanne. Wir sitzen draußen, quatschen, schlafen und lassen uns nur ungern vom Boot wieder abholen. Aber auf dem Rückweg sehe ich Papageientaucher und Delfine. Acht nicht mehr ganz so Fremde verabschieden sich im Hafen von Ísafjörður voneinander, zögernd und etwas wehmütig - Hornstrandir hat uns verzaubert.

In meinem Zimmer steht neben dem Bett eine Badewanne. Ich schwimme ein paar Runden darin und freue mich auf ein verdientes Glas Weißwein. Ein ruhiger Ausklang zu diesem perfekten Tag.
Fünf Stunden, vier Gläser Weißwein und diverse Platzwechsel später habe ich ein paar wunderbare Menschen kennengelernt. Ísafjörður hats mir angetan. Ich würde gern wiederkommen.



#8   Sing Mir Ein Lied


Vor Tagen habe ich vergessen, wie spät es ist. Den Wochentag kenne ich seit einer Woche nicht mehr. Dann ist da noch dieses Lied in meinem Kopf, wie eine Welle räumt es auf, fordert mich heraus und trägt mich weiter. Weiter im Kopf. Weiter im Herzen. Und ich sehe nicht, wohin es geht und endlich habe ich keine Angst mehr.

 

Warum tragen wir manche im Herzen, während uns andere Herzen tragen? Einfach so nimmt er einen Platz ein und kommt mit, und scheinbar habe ich nichts dagegen. Kein Mittel, keine Wucht, die sich uns entgegen stellt. Und dann der Wind, er schlägt mir Zweifel um die Ohren, von denen ich nichts hören

wollte. Endlich bin ich sie los und ich bin frei! Zu gehen, zu kommen und zu schwimmen, wohin ich will.

 

Du siehst aus wie ein alter Bekannter, wie jemand, der mir unter die Haut geht. Ich schmecke das Salz und fordere dich heraus. Mich zu tragen und nicht mehr loszulassen. Deine Haut ist rau, sie reißt und bricht, wenn ich nicht aufpasse. Und ich kann dich nicht verstehen. Was du sagst, klingt wie Musik und der Rhythmus ist mir fremd. Ich liebe deinen Dreck, den Sand in meinen Augen und das Licht, das heute bleibt. Sing mir ein Lied. Hör nicht auf.



#9   Takk fyrir, Ísland!


What I will take with me...


Potholes are really not that scary.


If you feel like climbing a mountain,

climb a mountain.


Get on a ship or a boat once in a while.


Pause to look at the sea.


Dream a lot. Write when you can.


When you're on top of a mountain, and there is wind, don't jump.


Scarves are overestimated. Hats are not.


Knock on doors.


Eat more fish.

Change direction if you feel like it.


Stand alone on a beach and shout at the wind.


Baby sheep think they are so cute. If they stare at you, stare right back at them.

(Same goes for foxes and seals.)


Look for art in the most unexpected places.


Listen to stories people tell you.


Tell stories and draw horses.


There should always be a cake buffet.


Be kissed.


Tap water will never be the same again.


And always thank your feet.



Iceland. Summer 2015.